K.O.-Kriterium Geschlecht – Gender Wage Gap

Heute, am 07.03.2022 ist der Equal Pay Day – der Tag, bis zu dem eine durchschnittliche Frau zusätzlich zu ihrer Erwerbsarbeit im Jahr 2021 hätte arbeiten müssen, um den gleichen Verdienst zu erzielen, wie ein männlicher Kollege im Kalenderjahr 2021. So einfach ist es nicht? Stimmt. Und gleichzeitig braucht es für lösungsorientierten Umgang mit der bestehenden Gap-Situation ein Auseinandersetzung mit den Hintergründen. Der folgende Artikel möchte einen Überblick geben und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen:

Ein Gastartikel von Michael Kohn, Janna Runge & Julia Vosschmidt

Obwohl sich die Gesellschaft scheinbar beständig weiterentwickelt, bestehen in Deutschland immer noch eklatante geschlechtsspezifische Lohnunterschiede, auch Gender Wage oder Gender Pay Gap genannt. Zusammengefasst versteht man darunter die lohnspezifischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, definiert durch die Differenz des Bruttolohns von Männern im Vergleich zu Frauen.

Die in Deutschland durch das statistische Bundesamt erhobenen Zahlen sind eine sehr deutlich quantifizierte Größe für die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Bekannt sind dabei vor allem zwei verschieden Werte, der sogenannte „bereinigte Gender Wage Gap“, sowie der „unbereinigte Gender Wage Gap“.

Der Wert spiegelt dabei die Verdienstunterschiede von Männern und Frauen über alle Branchen wider. Er unterscheidet weiterhin nicht nach Qualifikation oder Alter. Die Interpretation der Ergebnisse des unbereinigten Gender Wage Gap zeigen sowohl die schlechteren Chancen und Zugänge von Frauen auf dem beziehungsweise zum Arbeitsmarkt, die Ungleichbezahlung von Frauen und Männern als auch kumuliert die Unterschiede von „Männer- und Frauenberufen“ (Statistisches Bundesamt [Destatis], 2017a, S.46-59).

Die Höhe der geschlechterspezifischen Lohnunterschiede wird in Tabelle 1 deutlich. Ebenso zeigt sich, dass sich der Wert über die Jahre relativ stabil bei ungefähr 21 % eingependelt hat. Genauso stabil über die Jahre hält sich der deutliche Unterschied zwischen den neuen Bundesländern und dem früheren Bundesgebiet. Die Gründe für die vergleichbar sehr niedrigen Werte der neuen Bundesländer sind historisch gewachsen und teilweise in der sozialistischen Wirtschaft der ehemaligen DDR begründet. Um spezifischer vergleichbare Werte für die Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen zu erhalten, wurde der bereinigte Gender Wage Gap eingeführt (Statistisches Bundesamt [Destatis], 2018, S.26-35). Dieser bereinigte GWG ist quasi der „verbleibende Rest“ unter der Annahme, dass beispielsweise die Wahl von Beruf oder Karrierepfad bei Männern & Frauen gleich sind.

Die geschlechtsabhängigen Lohnunterschiede sind auf Vorstandsebene höher als auf Fachexperten-Ebene

Die Werte des bereinigten Gender Wage Gap liegen mit 5,6 % im Durchschnitt weitaus niedriger als der des unbereinigten Gender Wage Gap. Interessant ist hierbei, dass ein Vergleich unter Facharbeitern/innen einen Durchschnittswert von 4,4% ergibt, die Differenz folglich größer wird, desto höher die Position ist. Aufgrund der Menge der Daten wird der bereinigte Gender Wage Gap nur alle 4 Jahre ermittelt. Werden die unbereinigten Verdienstunterschiede auf Branchenebene untersucht, fällt zunächst ins Auge, dass sich öffentlicher Dienst sowie Privatwirtschaft deutlich unterscheiden (Destatis, 2020).

Gründe hierfür liegen unter anderem in einer transparenten Lohn-Eingruppierungspolitik im öffentlichen Sektor. Ebenso werden Frauen bei Neubesetzung von Stellen bei gleicher Qualifikation gegenüber Männern bevorzugt (Busch & Holst, 2010, S.93-97).

Im privaten Sektor zeigen sich jedoch oft ungefiltert alle benachteiligenden Faktoren für Frauen, wie beispielsweise die sogenannte „gläserne Decke“. Ebenso zeigt sich die überproportionale Repräsentanz von Frauen in sozialen Berufen, die vergleichsweise schlechter vergütet werden als technische Berufe.

Der Gender Wage Gap auf Führungsebene wurde von Elke Holst und Anne Marquardt basierend auf den Daten der Längsschnittstudie SOEP (Sozio-ökonomisches Panel) untersucht. Das SOEP ist eine repräsentative Befragung privater Haushalte in Deutschland, die jährlich seit 1984 mit denselben Bürgern durchgeführt wird.

Im Durchschnitt der Jahre 2010 – 2016 betrug der Gender Wage Gap in Deutschland bei vollzeitbeschäftigten Führungskräften in der Privatwirtschaft 30%: Frauen in Führungspositionen erzielten einen durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 20,60 €, während dieser bei Männern 29,30€ betrug. Werden geschlechtsspezifische Unterschiede, wie Humankapital, Sozialstruktur und Segregation hierbei herausgerechnet, verbleibt ein Gender Wage Gap von 11%.

Auf der Ebene des Humankapitals ließ sich feststellen, dass etwa 60% der Männer in Führungspositionen einen hohen Bildungsabschluss aufweisen, während 47% der Frauen einen mittleren Bildungsabschluss aufzeigen können. Die tatsächliche Arbeitszeit liegt mit circa 49 Stunden pro Woche drei Stunden über der in der Gruppe der Frauen. Frauen hingegen können in Bezug auf Teilzeitarbeit eine höhere Erfahrung von drei Jahren vorweisen (Holst & Marquardt, 2018, S. 672).

Im Bereich der Sozialstruktur liegt ein deutlicher Gender Wage Gap bezüglich des Wohnortes (Ost – West) vor. Auch auf der Ebene der Führungskräfte ist dies zutreffend: in Ostdeutschland verdienen Führungskräfte weniger als jene im Westen, wobei hier der Unterschied in der Gruppe der Männer noch prägnanter ist (43% vs. 29% bei Frauen). Frauen sind in Führungspositionen seltener verheiratet als Männer und haben weniger häufig Kinder bis 16 Jahre, die in ihrem Haushalt leben. Dies zeigt sich in der Berufserfahrung „Vollzeit“ in der Ebene Humankapital.

Der Aspekt der horizontalen Segregation, also die Verteilung von Frauen und Männern in unterschiedlichen Branchen und Berufen auf dem Arbeitsmarkt, spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle beim Betrachten des Gender Wage Gaps. In Wirtschaftsbranchen ist eine klare Aufteilung von „männer- und frauendominierten Bereichen“ zu sehen: die Hälfte der Frauen ist in Handel, Verkehr oder Lagerei tätig, während Männer in führenden Positionen vor allem im produzierenden und verarbeitenden Gewerbe zu finden sind (Holst & Marquardt, 2018, S. 673). Der durchschnittliche Verdienst bei Männern ist allgemein höher als der von Frauen. In „frauendominierten“ Branchen gibt es im Vergleich zu „männertypischen Bereichen“ weniger Führungspositionen und je mehr „weiblich dominiert“ ein Beruf ist, desto niedriger fällt der Bruttostundenverdienst aus – für Frauen noch ausgeprägter als für Männer (Holst & Marquardt, 2018, S. 674; Wrohlich & Zucco, 2017, S. 958).

Die Sozialstruktur und die Segregation tragen signifikant zur Erklärungskraft für die geschlechterspezifischen Lohnunterschiede bei. Erstere (mit 7%) beinhaltet dabei vor allem den lokalen Aspekt, der im Ost-West-Gefälle wiederzufinden ist. Letztere (mit 3%) ist vor allem der beruflichen Segregation der Geschlechter zuzuschreiben, die sich im Branchenvergleich vor allem im Handel, Verkehr und Lagerei widerspiegelt. Die Dominanz des Frauenanteils in einem Berufsfeld spielt bei der Erklärung der Unterschiede im Verdienst auf Führungsebene, im Gegensatz zur Nicht-Führungsebene, gleichzeitig keine signifikante Rolle. Das ist darauf zurückzuführen, dass sich Frauen- und Männerberufe auf Führungsebene ähnlicher sind als auf Nicht-Führungsebene und dort die Qualifikationsanforderungen an Männer und Frauen gleich sind. Die Betriebszugehörigkeit und der Bildungsabschluss (Ebene Humankapital), klären Varianz auf, wobei die Vollzeitberufserfahrung hier die maßgebliche Rolle einnimmt. Dann schrumpft die Gender Wage Gap auch langsam: Mit jedem zusätzlichen Jahr an Vollzeitberufserfahrung steigt der Verdienst von Frauen um 4%, während dieser bei Männern um 3% ansteigt.

Die Entlohnung von Führungskräften ist heutzutage immer noch eng verknüpft mit der idealistischen Vorstellung der permanenten Vollzeitarbeit (Holst & Marquardt, 2018, S. 673ff). Die Ergebnisse zeigen, dass der Aspekt der Vollzeitarbeit erheblich zum Gender Wage Gap beiträgt – würden Männer und Frauen über die gleiche berufliche Vollzeiterfahrung verfügen, würde dies den Gender Wage Gap in der Führungsebene um 7% senken.

Ein möglicher Ansatz Ungleichheiten zu eliminieren, liegt in der Betrachtung der großen Lücken in der beruflichen Karriere von Frauen und Männern in Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis. Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, ist einer der Hauptgründe für Teilzeiterwerbstätigkeit von Frauen die Betreuung von Kindern. Diese „Teilzeitfalle“, die bei Frauen im Alter von 20-25 beginnt und sich vor allem in den Altersbereichen von 30-45 auswirkt, verläuft fast parallel zur Karriereentwicklung und möglichem Aufstieg in Führungsbereiche. Um Frauen eine gleichwertige Teilhabe am Erwerbsleben zu ermöglichen, ist der Ausbau des Betreuungsangebotes für Kinder deshalb eine maßgebliche Stellschraube. In einer europäischen Vergleichsstudie konnte ermittelt werden, dass die Verbesserung der Infrastruktur zur Kinderbetreuung maßgeblich die Arbeitszeitdifferenz von Männern und Frauen reduziert (Bosch & Lehndorff, 2001, S.209-239).

Eine ebenso wirksame Maßnahme ist die generelle Aufhebung der relativ starren Vollzeit- / Teilzeitmodelle, so gibt es beispielsweise oftmals keine Rückkehroption aus Teilzeitmodellen in vorige Vollzeit-Beschäftigungsverhältnisse. Möglichkeiten bieten hierbei die Einführung einer Befristung von Teilzeitarbeit, sowie die Einführung von Familienarbeit. Wird die Reduktion der Arbeitszeit beispielsweise zur Kinderbetreuung befristet, entfällt einer der Fallstricke, die Frauen und Arbeitnehmer insgesamt in die Teilzeitfalle führt. Die in Abbildung 2 ersichtliche große Lücke im Beschäftigungsverhältnis wird folglich maßgeblich verringert. In Bezug auf die Betreuung von Kindern kann auch die Einführung von Familienarbeit eine äußerst wirksame Maßnahme sein. Hierbei wird die Arbeitszeit beider Elternteile leicht reduziert und in ein vollzeitähnliches Arbeitszeitmodell überführt. Mithilfe dieses Ansatzes könnte nicht nur die Kinderbetreuung gleichwertiger auf beide Elternteile verteilt werden, auch würden somit die klassischen Teilzeitmodelle obsolet gemacht werden, ebenso könnten sich die Erwerbsunterschiede in dieser Phase egalisieren (Bäcker, Lehndorff, Weinkopf, 2016, S.42-26).

Teilerfolge in Hinblick auf die Eliminierung des Gender Wage Gap lassen sich weltweit beobachten, so beispielsweise der Gesetzesentwurf zum „Equal Pay“ in Neuseeland aus 2020, sowie das Gesetz zur Abschaffung geschlechtsabhängiger Lohnunterschiede in Frankreich aus 2018. In Deutschland gibt es seit 2017 zwar das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Männern und Frauen, jedoch bedarf es hier noch viel Bemühen, sowohl seitens der Politik und Unternehmen, als auch der Bürger selbst, ein Bewusstsein für die Mechanismen des Gender Wage Gap zu entwickeln, um die Ungleichbehandlung von Geschlechtern in der Berufswelt langfristig zu eliminieren.

Quellen

Bäcker, G., Lehndorff, S., & Weinkopf, C. (2016). Den Arbeitsmarkt verstehen, um ihn zu gestalten. Wiesbaden: Springer VS.

Bosch, G., & Lehndorff, S. (2001). Working-Time Reduction and Employment: Experiences in Europe and Economic Policy Recommendations. Cambridge Journal of Economics, Vol. 25, 209-243.

Busch, A., & Holst, E. (2010). Der Gender Pay Gap in Führungspositionen: Warum die Humankapitaltheorie zu kurz greift. Femina Politica–Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 19(2), 19-20.

Holst, E., & Marquardt A. (2018). Die Berufserfahrung in Vollzeit erklärt den Gender Pay Gap bei Führungskräften maßgeblich. DIW Wochenbericht 30/31. 669-678.

Statistisches Bundesamt, Destatis (2017a). Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen, Eine Ursachenanalyse auf Grundlage der Verdienststrukturerhebung 2014. Wiesbaden. 43-63.

Statistisches Bundesamt, Destatis (2017b). Qualität der Arbeit, Geld verdienen und was sonst noch zählt 2017. 3-72

Statistisches Bundesamt, Destatis (2018). Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen nach Bundesländern. Wiesbaden. 26-36.

Statistisches Bundesamt, Destatis (2020). Geschlechtsspezifischer Verdienstabstand im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft (unbereinigt) von 2014 bis 2019. Wiesbaden. 1-2

Wrohlich K., & Zucco A. (2017). Gender Pay Gap innerhalb von Berufen variiert erheblich. DIW Wochenbericht 43. 955–961.

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