Glaube nicht Alles, was Du denkst.

Unsere Gedanken und Gefühle begleiten uns – durch den wachen Alltag, wie durch Traumphasen im Schlaf. Denken braucht ein Gehirn – und ein lebendes Gehirn ist immer aktiv. Das heißt, es fließen neuronale Impulse in Form von Aktionspotentialen und es findet Stimulation über Botenstoffe (z.B. so genannte Neurotransmitter oder Hormone) statt. Was wir denken, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen – was wir ignorieren (können) und worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten – das sind komplexe Vorgänge. Diese laufen zwar nach untersuchbaren Regeln ab – sind also “regelhaft” – gleichzeitig unterscheiden sie sich jedoch im Einzelfall von Mensch zu Mensch, ja sogar tagesformabhängig.

Wenn ich Kopfschmerzen habe, kann auch leise Musik mir schon zu laut sein. Wenn ich gute Laune habe, habe ich ein ziemlich stabiles Nervenkostüm. Wenn ich gute Laune habe, fallen mir spontan mehr schöne Dinge ein, die ich in der Vergangenheit erlebt habe. Wenn ich schlechte Laune habe, erinnere ich mich besser an negative Momente (Lloyd & Lishman, 1975). Mood-congruent Memory (MCM) heißt dieser Effekt. Er besagt, dass ich mich besser stimmungskongruent erinnere (Mayer, McCormick & Strong, 1995) – diese Kongruenz beeinflusst übrigens nicht nur unsere Erinnerungen, sondern auch unser Urteilsvermögen (Mayer, Gaschke, Braverman & Evans, 1992).

Grundsätzlich ist jetzt nicht viel dagegen einzuwenden, zu denken ;). Problematisch wird es allerdings, wenn Gedanken anfangen, uns im Alltag einzuschränken. Die Sorge, ob wir auch wirklich das Auto abgeschlossen [den Herd ausgeschaltet; das Fenster geschlossen; die Haustür abgesperrt] haben, kennst Du vielleicht. Vielleicht hast Du auch schon einmal Dein Auto mehrfach abgeschlossen, oder bist zur Haustür zurückgelaufen, nur um festzustellen, dass Du doch schon zuvor abgeschlossen hattest…

In der Neuro-Psychologie wissen wir noch nicht viel darüber, wie solche Gedanken-Karussels entstehen. Was wir jedoch wissen ist, dass ungesunde Gedanken, wie Zwangsgedanken und Gedankenschleifen tatsächlich im bildgebenden Verfahren sichtbar gemacht werden können (Bohus, Mauchnik & Schmahl, 2009; Elliott, Rubinsztein, Sahakian & Dolan, 2002). Untersuchungen an klinischen Patienten konnten außerdem zeigen, dass unsere Gedanken uns tatsächlich effektiv davon abhalten können, uns von negativen Stimuli zu lösen und uns positiven Reizen zuzuwenden (Koster, De Raedt, Goeleven, Franck & Crombez, 2005).

Wir wissen jedoch, dass alleine das Wissen darüber, dass solche Gedanken entstehen können und sie nicht die Realität abbilden, Menschen [mit Zwangsstörungen] effektiv helfen kann. Es hilft dabei, Wege des Umgangs mit diesen [Zwangs]Gedanken zu lernen und die eigene Lebensqualität auch mit Zwangsgedanken zu erhöhen (Mathur, Sharma & Reddy, 2016).

“Mindfulness-Based-Cognitive-Therapy” – achtsamkeitsbasierte Interventionen sind nachweislich daran beteiligt, Gehirnstrukturen – etwa im Nucleus Caudatus, der eine Rolle bei vielen Zwangsstörungen spielt – zu verändern (Mathur, Sharma & Reddy, 2016). Gedanken können unsere Art, zu Denken, verändern. Regelmäßige Achtsamkeitsübungen wirken sich auf die Struktur und damit die Funktionsweise unseres Gehirns aus. Dieses Wissen ist nicht nur für Patienten mit Zwangsgedanken nützlich, sondern für jeden, der morgens im Auto sitzt und sich wieder fragt, ob die Haustür jetzt abgeschlossen ist, oder nicht.

Wenn wir also das nächste Mal mit dem Schlüssel in der Hand kurz davor sind, “zur Sicherheit” ein zweites Mal abzuschließen, erinnern wir uns doch lieber genau an diese Erkenntnisse:

  1. Halten wir bereits beim Abschließen inne und schließen bewusst ab. Alles hat seine Zeit.
  2. Wenn wir zehn Sekunden später umkehren wollen: machen wir uns bewusst, dass der Gedanke nicht der Realität entspricht. Wir haben eben abgeschlossen (und das wissen wir!). Der Gedanke ist nur ein Gedanke – der Impuls nichts weiter als das: ein Impuls. Unser Gehirn hat gerade kurz einen Schluckauf.
  3. Diesen Schluckauf können wir konkreten Gehirnvorgängen zuordnen: der wiederkehrende Impuls, umzukehren und erneut abzuschließen, ist ein “Klemmen” in der Gangschaltung. Hier fehlt es am Ausgang. Nach Abschluss der Handlung kommt nicht die Bestätigung: “Handlung abgeschlossen, fertig!”, sondern unsern Gehirn hat (versehentlich?) eine Schleife eingebaut, die immer wieder fragt: “Bist Du auch wirklich sicher?!”
  4. Dieser Schleife setzen wir ab sofort konstruktives Verhalten entgegen. Wir sagen uns “Ja, ich bin mir sicher.” Wir schließen die Wohnuntstür bewusst ab. Wir atmen tief durch, nutzen das Bewusstsein für unsere Gedanken vielleicht für eine kurze Achtsamkeitsmeditation und nehmen Gedanken als das an, was sie sind – ein Gedanke, ein Teil von mir. Nicht in bin Teil meiner Gedanken, sondern meine Gedanken sind ein Teil von mir.

Indem ich meine Aufmerksamkeit auf das Gedankenkarussel richte und mir bewusst mache, dass es nur ein Gedanke ist – mein Gehirn also quasi gerade nur eine Art “Schluckauf” hat, kann ich den Nucleus Caudatus manuell schalten (lernen). Übung ist hierfür essentiell. Erfahrung ist der Hauptarchitekt unseres Gehirns. Durch Achtsamkeit und achtsamkeitsbasierte Übungen können wir unser Gehirn langfristig strukturell und funktional verändern.

Wenn Du das nächste Mal einen Gedanken bemerkst, der Dir nicht gut tut: Schau ihn Dir an. Und dann lass ihn ziehen. Jeder Gedanke darf da sein. Gedanken sind nur Gedanken, Du bist größer als Deine Gedanken – was wir denken entspricht nicht unbedingt dem, was ist. Aber was wir denken, beeinflusst unsere [Wahrnehmung der] Realität.

Glaube nicht Alles, was Du denkst.

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Herzlichst

Annika Rötters

Quellen:

Bohus, M., Mauchnik, J., & Schmahl, C. (2009). Neurobiologische Grundlagen von psychotherapeutischen Interventionen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57(2), 97-104.

Elliott R, Rubinsztein JS, Sahakian BJ, Dolan RJ. (2002). The Neural Basis of Mood-Congruent Processing Biases in Depression. Arch Gen Psychiatry. 2002;59(7):597–604. doi:10.1001/archpsyc.59.7.597

Koster, E. H., De Raedt, R., Goeleven, E., Franck, E., & Crombez, G. (2005). Mood-congruent attentional bias in dysphoria: maintained attention to and impaired disengagement from negative information. Emotion, 5(4), 446.

Lloyd, G. G., & Lishman, W. A. (1975). Effect of depression on the speed of recall of pleasant and unpleasant experiences. Psychological medicine, 5(2), 173-180.

Mathur, S., Sharma, M. P., & Reddy, J. Y. (2016). Preliminary findings of efficacy of Mindfulness Integrated Cognitive Therapy (MICT) for Obsessive-Compulsive Disorder (OCD). Archives of Mental Health, 17(1), 65.

Mayer, J. D., McCormick, L. J., & Strong, S. E. (1995). Mood-Congruent Memory and Natural Mood: New Evidence. Personality and Social Psychology Bulletin, 21(7), 736–746. https://doi.org/10.1177/0146167295217008

Mayer, J. D., Gaschke, Y. N., Braverman, D. L., & Evans, T. W. (1992). Mood-congruent judgment is a general effect. Journal of Personality and Social Psychology, 63(1), 119-132.

http://dx.doi.org/10.1037/0022-3514.63.1.119

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